Statement Prof. Dr. Roland Frankenberger, Präsident der DGZMK, anlässlich der PK „Zahnmedizin und Zahnärzte im Nationalsozialismus“

- Es gilt das gesprochene Wort. -

28. November 2019 - Berlin.


 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

mir als Vertreter der DGZMK kommt die Aufgabe zu, die soeben präsentierten wissenschaftlichen Ergebnisse des Aufarbeitungsprojekts fachlich zu bewerten.

Da wir als Fachgesellschaft vor allem die Wissenschaft und die Hochschullehre vertreten, möchte ich dabei zuvorderst auf die politische Verstrickung der zahnärztlichen Hochschullehrer und der Wissenschaftler eingehen. Im Besonderen möchte ich mich zur Rolle der DGZMK im „Dritten Reich“ und im Nachkriegsdeutschland äußern:

·       Herr Groß hat herausgearbeitet, dass mindestens 60 Prozent der von ihm untersuchten zahnärztlichen Hochschullehrer im „Dritten Reich“ Parteigänger der NSDAP waren. Das ist eine Prozentzahl, die meine Befürchtungen deutlich übertrifft.

·       Auch dass es Hochschullehrer der Zahnheilkunde und der Kieferchirurgie gab, welche für die Zwangssterilisation eigener Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten eintraten, ist eine schockierende Erkenntnis.

·       Gleiches gilt für die traurige Tatsache, dass meine Fachgesellschaft – die DGZMK – nach 1949 in vielen Fällen diejenigen zu Ehrenmitgliedern und Medaillen-Trägern erhob, die sich im „Dritten Reich“ den Nationalsozialisten und der NSDAP angedient und diese damit letztlich hoffähig gemacht haben. Bei 50 Prozent aller Ausgezeichneten war dies der Fall. Andererseits wurde von der DGZMK in der Bundesrepublik nur ein einziger verfolgter Jude, nämlich der 1951 remigrierte Alfred Kantorowicz, ausgezeichnet, obwohl der Anteil der Juden in der Zahnärzteschaft zum Zeitpunkt der Machtübernahme immerhin bei rund 10 Prozent lag. Demzufolge vergaben wir als DGZMK die historische Chance, durch die Ehrung fachlich verdienter und politisch entrechteter jüdischer Kollegen unseren eigenen Beitrag zur Wiedergutmachung zu leisten, die Betroffenen in unseren Reihen willkommen zu heißen und sie in unser kollektives Gedächtnis zurückzuholen.

·       Ferner muss und will ich die parteipolitische Verortung der Präsidenten der DGZMK im „Dritten Reich“ ansprechen: Insgesamt neun Präsidenten haben das „Dritte Reich“ als Erwachsene erlebt. Diese neun Personen führten die DGZMK und deren Vorgängerorganisation von 1906 bis zum Beginn der 1980er Jahre an. Nur einer dieser neun Präsidenten – Rudolf Naujoks – hatte sich nicht der NSDAP angeschlossen. Vielleicht erklären diese offensichtlichen personellen Kontinuitäten nach 1945 auch den eben angesprochenen Umgang der DGZMK mit Ehrenmitgliedschaften und Ehrenmedaillen.

·       Doch nicht nur die Wissenschaftler und Hochschullehrer sind politisch belastet. Die gesamte Zahnärzteschaft hat sich dem NS-Regime angedient: 48 nachweisliche zahnärztliche Kriegsverbrecher, ca. 300 Waffen-SS-Angehörige, darunter ca. 100 KZ-Zahnärzte, und die Hinweise auf Zwangsarbeit auch in zahnärztlichen Haushalten sprechen da eine deutliche Sprache.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich darf und ich möchte auch nicht nach Ausflüchten suchen: Diese Ergebnisse sind beschämend und schmerzlich. Kein Erklärungsversuch, keine Rechtfertigungsstrategie kann diesen Schmerz lindern.

Wir sollten uns auch vor dem Versuch hüten, derartige Befunde zu plausibilisieren oder gar zu relativieren, um sie für uns handhabbarer zu machen.

Gleichzeitig bin ich weit davon entfernt, mich moralisch über meine Amtsvorgänger – die früheren DGZMK-Präsidenten – zu erheben oder deren fachliche Lebensleistung in Frage zu stellen. Wer von uns kann sicher behaupten, dass er dem NS-Regime im „Dritten Reich“ Paroli geboten hätte? Ich jedenfalls nicht.

Es geht heutzutage ohnehin längst nicht mehr um persönliche Schuld: Meine Generation trifft keine persönliche Schuld. Umso größer ist unsere gesellschaftliche Verantwortung – als Einzelperson, als wissenschaftliche Fachgesellschaft, als Berufsgruppe…

Diese Verantwortung ist beträchtlich, denn die Untersuchungen der Arbeitsgruppe von Herrn Groß haben gezeigt, dass das Ausmaß der Verfehlungen und Verstrickungen erheblich größer war als angenommen. Wir können uns also nicht länger herausreden mit dem Argument, dass unsere Berufsgruppe nur für die Mundgesundheit zuständig war und daher kaum in NS-Verbrechenskomplexe verwickelt sein konnte. Das Gegenteil ist wahr: Die Zahnärzteschaft war sozusagen mittendrin, sie war integraler Bestandteil des NS-Systems: Es gab Reichszahnärzteführer, Reichsdentistenführer, Reichsdozentenführer, Gauleiter und Uni-Rektoren aus der Gruppe der Zahnärzte, die für sogenannte „Säuberungen“ und Entrechtungen jüdischer Kollegen verantwortlich waren – sie alle waren wichtige, tragende Akteure und Vertreter des NS-Systems. Es gab Vertreter der nationalsozialistisch orientierten Neuen Deutschen Zahnheilkunde; es gab Zahnärzte, die als NS-Schulungsleiter in der Führerschule in Alt Rhese fungierten, es gab Leiter von Zahnstationen in den KZs; es gab Kollegen, die den Zahngoldraub an Leichen organisierten; es gab solche, die Zwangssterilisationen propagierten und veranlassten; es gab Zahnärzte, die zu hochdekorierten Angehörigen der Waffen-SS wurden, und es gab solche, die Selektionen an der Rampe durchführten und damit über Leben und Tod entschieden.

Das Traurigste dabei ist, dass die meisten dieser Taten nicht von der NS-Polykratie erzwungen wurden, sondern eigeninitiativ bzw. in vorauseilendem Gehorsam erfolgten. Sie gingen von Zahnärzten aus, die sich linientreu zeigten, bzw. sie erfolgten unter aktiver Beteiligung der organisierten Zahnärzteschaft.

Wie also sind diese Dinge zu bewerten? Ich sitze hier als Roland Frankenberger vor Ihnen, aber ich bin sicher, ich spreche auch für die DGZMK und für das Gros der zahnärztlichen Berufsgruppe:

·       Ich bin beschämt, dass wir so lange für die Aufarbeitung unserer Rolle im „Dritten Reich“ gebraucht haben und die politische Dimension der zahnärztlichen Tätigkeit kleingeredet haben – und es macht mich sprachlos, dass wir uns erst 74 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hier versammeln, um über die Verantwortung der Zahnärzteschaft zu sprechen.

·       Ich bin beschämt, dass wir nicht früher an der Seite der Opfer und Hinterbliebenen zahnärztlicher Verfehlungen gestanden haben. Ich bitte hiermit alle Opfer und Angehörige nachträglich um Entschuldigung für das erlittene Unrecht und Leid, das ihnen von Zahnärzten auf der persönlichen und institutionellen Ebene zugefügt wurde.

·       Ich bitte auch die Bevölkerung um Entschuldigung, dass wir als DGZMK über Jahrzehnte geschichtsvergessen agiert und mögliche institutionelle und personelle Verstrickungen ausgeblendet haben. Ich sage es unmissverständlich: Damit sind wir unserer gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht geworden.

·       Schließlich bitte ich die Nachkommen unserer entrechteten jüdischen Kollegen – immerhin ursprünglich 10 Prozent unserer Berufsgruppe – um Verzeihung dafür, dass wir sie nach 1949 bei unseren zahlreichen Ehrungen und Würdigungen nahezu vollständig ignoriert haben. Wir haben sie damit ein zweites Mal marginalisiert und zu Opfern gemacht – diese Einsicht ist besonders schmerzlich, denn dieser Vorwurf betrifft uns, die Nachkriegsgenerationen, direkt. Unser menschliches Scheitern endete also nicht 1945, sondern setzte sich, kritisch gesprochen, bis in die jüngere Vergangenheit fort.

·       Um es auf den Punkt zu bringen: Wir Zahnärzte – und allen voran die Vertreter der Wissenschaft – haben versagt: Im „Dritten Reich“ durch politisch angepasstes Verhalten und in den folgenden Jahrzehnten durch Ausblenden und dauerhaftes Wegschauen.

Und damit komme ich zu der Frage, welche Konsequenzen aus den beschriebenen Fakten zu ziehen sind. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir noch nicht über alle Konsequenzen entschieden haben. Die Ergebnisse sind auch für uns neu, und vieles muss noch abgestimmt werden. Ich werde daher zunächst Maßnahmen ansprechen, die bereits spruchreif sind, und schließlich auf Aspekte eingehen, die wir derzeit im DGZMK-Vorstand diskutieren:

·       Fest steht, dass wir uns hiermit verpflichten, die weitere historische Forschung und Aufarbeitung auch in Zukunft institutionell und finanziell zu unterstützen. Die Aufarbeitung wird mit dem heutigen Tag nicht enden. Der heutige Tag ist vielmehr der Auftakt zu einem neuen öffentlichen Umgang der Zahnärzteschaft mit dem Thema Zahnmedizin und Nationalsozialismus. Wir haben grundlegende Erkenntnisse gewonnen, doch viele Fragen sind noch offen, etwa diejenigen nach dem Umfang der Zwangssterilisationen von Spaltträgern, nach dem Umfang der Zwangsarbeit, nach der Rolle von Zahnärztinnen im „Dritten Reich“, nach den Gründen, warum das Gros der geflohenen Zahnärzte nicht remigrierte, nach den Differenzen bei den Karrierechancen und Karrierekontinuitäten in der Nachkriegszeit in Ost und West usw.

·       Fest steht weiter, dass wir als Hochschullehrer bzw. als wissenschaftliche Dachgesellschaft im Rahmen unserer Möglichkeiten dafür Sorge tragen werden, dass das Thema Zahnmedizin im Nationalsozialismus bei der Umsetzung der neuen zahnärztlichen Approbationsordnung an den einzelnen universitären Standorten gelehrt wird. Wir müssen unserem Nachwuchs den Blick dafür schärfen, woran man Rassismus und Totalitarismus in den Anfängen erkennt. Das NS-Regime konnte nur eine solche Macht entfalten, weil auch die Professoren und Lehrer – also die vermeintlichen gesellschaftlichen Vorbilder – sich der Partei und ihrer Ideologie anschlossen, weil diese ihnen beruflichen Status und eine wirtschaftlich attraktive Zukunft versprach. Deshalb tragen wir zahnärztliche Hochschullehrer eine doppelte Verantwortung: Wir wollen nicht nur sicherstellen, dass unsere NS-Geschichte im neuen Querschnittsbereich der zahnärztlichen Approbationsordnung gelehrt wird. Wir Hochschullehrer müssen uns aber auch bewusst sein, dass wir fachliche und moralische Vorbilder für die künftigen Studierendengenerationen sind. Nur wer Verantwortung vorlebt, kann eine verantwortliche Generation von Zahnärztinnen und Zahnärzten heranziehen.

·       Fest steht auch, dass wir als DGZMK für die Umbenennung von Preisen, Medaillen, und Institutionen eintreten, die nach neuer Kenntnis nach Nationalsozialisten benannt sind. Für die unter unserem Dach angesiedelte Deutsche Gesellschaft für Zahnerhaltung können wir bereits sagen, dass aus dem bisherigen „Walkhoff-Preis“ der „DGZ-Preis“ werden wird. Die Deutsche Gesellschaft für Funktionslehre und –therapie hat mir ebenfalls signalisiert, dass die „Oskar-Bock-Medaille“ in „DGFDT-Verdienstmedaille“ umbenannt wird. Weitere Namensänderungen werden noch folgen. Wir behalten uns darüber hinaus vor, auch Ehrenpräsidentschaften etc. kritisch zu überprüfen. Hier bitte ich Sie aber um Verständnis, dass diese Entscheidungen in das Ermessen der jeweiligen institutionellen Vorstände gestellt sind und die DGZMK den betreffenden Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen nicht vorgreifen, sondern diese lediglich begleiten kann.

·       Wir planen für 2020 im Rahmen des Deutschen Zahnärztetages – also 75 Jahre nach Kriegsende – einen Hauptvortrag zum Thema Zahnmedizin und NS-Vergangenheit in das wissenschaftliche Hauptprogramm aufzunehmen.

·       Wir möchten dort eine Gedenkveranstaltung mit öffentlicher Erklärung abhalten, zu der wir führende Vertreter der israelischen Zahnmedizin einladen.

·       Herr Prof. Groß wird auf dem Deutschen Zahnärztetag sein „Personenlexikon der Zahnärzte im Dritten Reich“ vorstellen -

·       Und wir wollen einen DGZMK-Preis zur Aufarbeitung des Nazionalsozialismus in der Zahnheilkunde etablieren, der erstmalig beim Deutschen Zahnärztetag verliehen werden soll und den Namen „Hans-Türkheim-Preis“ bekommen soll.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie sehen, wir haben uns einiges vorgenommen – wir werden in den nächsten Monaten über weitere Schritte beraten und dabei auch die Reaktionen der Presse und der Öffentlichkeit aufmerksam verfolgen und aufgreifen. Und wir werden wie angekündigt in 2020 noch einmal auf das Thema zurückkommen. Bitte nehmen Sie mich beim Wort.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.