Rede des Präsidenten der DGZMK, Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake, anlässlich der Eröffnung des Deutschen Zahnärztetages 2012

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrüße Sie ganz herzlich zur Eröffnung des Deutschen Zahnärztetages 2012 hier in Frankfurt. Wenn wir den Deutschen Zahnärztetag als die zentrale Veranstaltung der Zahnmedizin in Deutschland betrachten, so könnte man versucht sein zu sagen dass er das Zahnärztliche Jahr beschließt und ein neues eröffnet. In diesem Sinn hätten wir also heute Sylvester Abend. Das ist ein Tag an dem man Rückschau hält, aber auch ein Tag an dem die Sektkorken knallen. Die Frage also, die sich hier stellt ist: Gibt es was zu feiern in der Zahnmedizin?

Nun für die zahnmedizinische Forschung und Lehre ist die Bilanz dieses Jahres durchaus gemischt. Der große Wunsch der Zahnmedizin, endlich die neue Approbationsordnung zu verabschieden, ist bedauerlicherweise ein weiteres Mal ins neue Jahr verschoben worden. Vor einem Jahr hatte ich an dieser Stelle hoffnungsfroh verkündet, dass Anfang dieses Jahres ein abgestimmter Referentenentwurf vorgelegt werden könnte und damit die ständigen Rangeleien um Curricularnormwerte und Kapazitätsfragen überwunden seien. Nun kam aus den Ländern, oder genauer gesagt aus einem Land, wiederum ein Veto, das den ganzen Prozess zum Stehen gebracht hat. Neue Termine sind im Januar vereinbart, aber nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres mag man da keine Prognose abgeben.

Da ist es tröstlich, dass ein weiteres Großprojekt in der zahnmedizinischen Lehre, der nationale kompetenzbasierte Lernzielkatalog, in diesem Jahr gute Fortschritte gemacht hat. Alle Beteiligten haben in einer außerordentlichen Energieleistung in einem sehr ambitionierten Zeitplan an der Erstellung des Nationalen Lernzielkataloges gearbeitet, so dass die in 23 Arbeitspaketen ausgearbeiteten Lernziele bereits Ende des Jahres als Lesefassung vorliegen und in einer abschließenden Konsensuskonferenz im Mai nächsten Jahres verabschiedet werden. Durch die parallele Entwicklung mit dem Lernzielkatalog der Medizin erreichen wir so schon im Bereich der universitären Lehre die dringend notwendige enge Verbindung der Zahnmedizin mit der Medizin. In der Summe resultiert eine grundlegend reformierte Lehre unseres Faches, die interdisziplinäres Denken fördert und moderne, wissenschaftlich fundierte Konzepte für die spätere praktische Tätigkeit vermittelt. Dass diese Herkulesaufgabe in diesem engen Zeitfenster gemeinsam bewältigt wurde, zeigt nicht nur wie groß der Innovationsstau in der zahnmedizinischen Lehre ist, dass er solche Energien freisetzen kann, sondern auch wie vital, gestaltungsfähig und kooperationsbereit die wissenschaftliche Zahnmedizin mit ihren Subdisziplinen ist. Hier ist unter der bewundernswerten Leitung von Frau Kollegin Hahn und Herrn Kollegen Wenz wirklich ein Ruck durch die Zahnmedizin gegangen. Im krassen Gegensatz dazu stehen die zerstrittenen Gremien, die mit der neuen Approbationsordnung befasst sind und wir können nur hoffen, dass die Einsicht, dass unser Fach auf der Ausbildungsebene dringend weiter entwickelt werden muss, um den Herausforderungen der Gesundheitslandschaft der Zukunft gerecht zu werden, endlich aus dieser Falle des Bildungsföderalismus befreit werden kann. Auf Bundesebene ist diese Einsicht ja längst angekommen.

Nun ist die Weigerung einzelner Länder, der neuen Approbationsordnung mit der damit verbundenen Kapazitätserhöhung zuzustimmen, auch Ausdruck einer großen Herausforderung, der sich die Hochschulmedizin und damit auch die Zahnmedizin in den kommenden Jahren stellen muss. Im laufenden Jahr hat sich deutlich gezeigt, dass die Hochschulmedizin durch das Anfang 2011 in Kraft getretene Krankenhausentgeltgesetz chronisch unterfinanziert ist, so dass der Anteil der defizitären Universitätsklinika innerhalb eines Jahres auf 37% gestiegen ist. Es liegt nahe, dass in einer solchen Situation der Landeszuführungsbetrag, den die medizinischen Fakultäten bekommen, unter hohem Druck steht und die Versuchung einer Kürzung der Mittel für Forschung und Lehre ist groß. Um Forschung und Lehre in den medizinischen Fakultäten unter diesem Druck sicherzustellen, wurde kürzlich auf dem Medizinischen Fakultätentag diskutiert, das Delta, das in der Finanzierung der akademischen Maximalversorgung und ärztlichen Weiterbildung in der Hochschulmedizin entsteht, durch eine Finanzierung aus Bundesmitteln auszugleichen. Dies ist jedoch durch das mit der Föderalismusreform 2006 eingeführte Kooperationsverbot des Bundes mit den Hochschulen nicht umsetzbar. Es gibt zwar Initiativen über eine Lockerung dieses Kooperationsverbotes zumindest nachzudenken, allerdings droht dieses Vorhaben bereits wieder zwischen die Mühlsteine der Bildungspolitik der einzelnen Parteien zu geraten.

Als Zahnmedizin haben wir uns bisher darauf konzentriert, unseren Landeszuführungsbeitrag für Forschung und Lehre in den Dekanaten gegen die Begehrlichkeiten der Medizin zu verteidigen. Wenn wir uns aber als Teil der Medizin betrachten, müssen wir erkennen, dass wir uns darauf allein nicht beschränken können, sondern dass wir gemeinsam mit der Medizin an den Hochschulen Wege in die Politik suchen müssen, um zur Lösung dieser Blockaden beizutragen  und zusätzliche Finanzierungsformen für die Hochschulmedizin und –zahnmedizin zu eröffnen. Nur wenn die Finanzierung der medizinischen Fakultäten insgesamt angegangen wird, wird es auch der Zahnmedizin als Teil der Medizin finanziell besser gehen.

Eng mit der Finanzierung der Hochschulen ist die Frage verknüpft: Wer bezahlt denn dann die Forschung? Forschung wird derzeit an den Hochschulen zum weit überwiegenden Teil durch kompetitive begutachtete Drittmittel finanziert. Das hat durchaus auch positive Aspekte, denn es zwingt zur Qualität und Fokussierung in den Forschungsstrategien. Nun gibt es aber auch gesellschaftliche Forderungen an die Forschung in der Zahnmedizin. Ich denke da an eine kürzlich gestellte Anfrage im Gesundheitsausschuss nach der evidenzbasierten Versorgungsqualität in der Zahnmedizin.

Bei der Frage nach der Evidenz in der Zahnmedizin - wie ja auch in der Medizin – muss bedacht werden, dass die Identifikation der besten Therapie nicht für jede Behandlung in randomisierten, kontrollierten Studien geleistet werden kann, weil dies entweder ethischen Standards widersprechen würde oder weil Ausgangssituation und Ergebnisse nicht ausreichend stratifiziert werden können. Ersatzweise, und dies wird auch nach Kräften betrieben, ist es dann nötig, einen Konsens im Sinne der "good clinical practice" zu erzielen. Sowohl der evidenzbasierte als auch der konsensbasierte Prozess sind allerdings sehr personal- und zeitintensiv, und damit auch eine Frage der verfügbaren Ressourcen. Das gleiche gilt für die von Patientenvertretern so häufig geäußerte Kritik, dass es nur so wenige von der Dentalindustrie unabhängige Studien gibt. Gerne werden da Bilder einer gekauften Forschung bemüht, die sich allzu sehr mit der Evaluation neuer Produkte beschäftigt und damit den Interessen der Industrie dient anstatt sich um Evidenzbasierte Prozeduren zu bemühen. Dazu muss man allerdings wissen, dass unabhängige, also nicht gesponserte Studien - sogenannte "investigator initiated studies" -  die methodisch einem internationalen Qualitätsstandard genügen sollen, wiederum einen hohen Finanzierungsbedarf haben.
Die systematischen Literaturrecherchen, die study nurses, die Patientenversicherung – all das kostet Geld. Unabhängige Evidenz kann sich keiner kaufen – meine Damen und Herren - aber sie muss bezahlt werden. Das hierfür nötige Geld steht den Hochschulen so nicht zur Verfügung. Und es ist eine Illusion zu glauben, dass alle Fragen, die von Patienteninteresse sind, wissenschaftlich unabhängig allein durch kompetitive begutachtete Drittmittel beantwortet werden können. Wenn hier Abhilfe geschaffen werden soll, muss über zusätzliche Finanzierungsformen der Hochschulforschung auch in der Zahnmedizin nachgedacht werden.

Trotz der knappen Ressourcen ist die Zahnmedizin auf diesem Feld beileibe nicht untätig. So sind in diesem Jahr 6 hochrangige Leitlinien unter Führung oder Mitarbeit der DGZMK verabschiedet worden und 10 weitere sind derzeit in Arbeit. Zur Förderung der Forschung in der Zahnmedizin ist die Einrichtung einer Wissenschaftsagentur durch die DGZMK in Vorbereitung, die über den Zugang zu Forschungsnetzwerken und öffentlichen Mittelgebern die Forschungsaktivitäten gerade im Bereich der angewandten zahnmedizinischen Forschung unterstützen und vorantreiben wird.

Die Unterstützung und Mitarbeit an der Generierung von Forschungsergebnissen und dem Erarbeiten von evidenzbasierter Behandlungsqualität - das sind wichtige Aufgaben einer wissenschaftlichen Gesellschaft meine Damen und Herren. Aber das alles ist nutzlos, wenn die Ergebnisse und Erkenntnisse nicht an ihre Mitglieder in die sogenannte Community weiter transportiert und kommuniziert werden. Für diese Wissensvermittlung und diesen Austausch – dafür steht der Kongress des Deutschen Zahnärztetages und ich freue mich, dass Sie so zahlreich an diesem Austausch teilnehmen. Wir haben – und damit komme ich wieder an den Ausgangspunkt meiner Rede zurück – natürlich etwas zu feiern. Zwei Tage liegen vor uns, an denen wie nirgendwo sonst aktuelles zahnmedizinisches Wissen geballt und konzentriert in einer einzigartigen Breite erlebt, diskutiert und aufgenommen werden kann. In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen erfolgreichen spannenden und unterhaltsamen Deutschen Zahnärztetag 2012.

Vielen Dank !