Grenzen der Prävention werden durch Rahmenbedingungen definiert

17.11.2014

Spannende Abschlussdiskussion zum Wissenschaftlichen Kongress zeigte interdisziplinäre Ansätze auf

Frankfurt. Eine scheinbar kontroverse Frage, die den programmatischen Verlauf des stark auf interdisziplinäre und individualisierte Prävention ausgerichteten wissenschaftlichen Kongresses zum Deutschen Zahnärztetag in Frankfurt zum Ende thematisch noch einmal zuspitzte: "Kann Therapie durch Prävention ersetzt werden?" - In der spannenden und facettenreichen Diskussion mit Dr. Joachim Bublath, bekannt als langjähriger Wissenschaftschef des ZDF und u.a. als Wissenschaftsjournalist des Jahres 2007 ausgezeichnet, zeigte sich deutlich, dass diese Frage grundsätzlich mit "Ja" zu beantworten ist. Allerdings, darin waren sich alle Experten einig, müssten für einen besseren Erfolg der Prävention die Rahmenbedingungen verbessert werden. Dies aus der Sicht von vier unterschiedlichen Fachbereichen, nämlich der Zahnerhaltung, vertreten durch Prof. Dr. Roland Frankenberger, der Kieferorthopädie und Prof. Dr. Heike Korbmacher-Steiner, der Parodontologie mit Prof. Dr. Jörg Meyle und der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, die Prof. Dr. Dr. Torsten E. Reichert repräsentierte. Per sms richteten auch die Zuhörer Fragen an die Runde.

Wie Moderator Bublath in seiner Einführung bereits relativierte, ging es bei der Fragestellung nicht so sehr um das ob oder ob nicht, sondern um die Grenzen der Prävention. Er verwies auf ein Statement von Prof. Frankenberger, in dem dieser erklärt hatte, Karies zu verhindern sei ganz leicht. "Kariesprophylaxe scheint bei vielen Kindern und Erwachsenen zu funktionieren, aber wir wissen alle, dass es Fehlstellen, sprich Lecks gibt, wo man mit manchen regulativen Maßnahmen einfach nicht richtig herankommt", ging Frankenberger auf dieses Statement selbst ein. Er verwies dabei auf die Polarisation des Kariesbefalls in der Kinderzahnheilkunde, von der vor allem bildungsferne Schichten mit entsprechendem sozioökonomischem Hintergrund betroffen seien. Auch die DMFT-Zahlen etwa bei 40jährigen zeigten, dass der Präventionsgedanke nicht durchtransportiert werde. "Wenn Sie sich die DMFT-Zahlen anschauen an den epidemiologischen Studien orientiert, müsste man ja meinen, dass die Karies irgendwann bei Null angelangt ist und es irgendwann eine Null-Linie kreuzt. Aber dem ist eben nicht so."

Aus Sicht der Parodontologie verwies Prof. Meyle zunächst auf eine hohe Prävalenz der Erkrankungen, wie es auch die DMS-Studien belegten. "Das Problem bei der Parodontitis ist, dass sie im jungen Alter häufig nicht sofort erkannt wird, weil sie sehr diskret beginnt, sie ist völlig schmerzlos." Es sei von etwa 10 Millionen Betroffenen auszugehen, wobei an kassenzahnärztlichen Leistungen nur etwa eine Million Paro-Behandlungen pro Jahr zu verzeichnen sei. Meyle: "Da stellt sich die Frage, was können wir tun, um das zu steigern?" Eine Frage sei dabei die Anwendung des seit zehn Jahren zur Verfügung stehenden Screening Index, der aber nicht in allen Praxen verwendet werde. Prof. Meyle verwies darauf, dass 99 Prozent der gingivalen und parodontalen Entzündungen keine Beschwerden verursachen. "Damit ist auch kein Leidensdruck bei den Patienten vorhanden." Wie auch Prof. Frankenberger betonte er die Notwendigkeit, in den präventiven Bemühungen die Patienten auch im weiteren Leben über Individualprophylaxe zu motivieren und zu einem sehr guten Mundhygienebewusstsein zu führen: "Dann könnte man viel erreichen."

"Die Kieferorthopädie an sich ist ein präventionsorientierter Ansatz", stellte Prof. Dr. Heike Korbmacher-Steiner klar. Nach einer Parodontalbehandlung seien die Patienten über das Ergebnis meist enttäuscht: "Das Zahnfleisch ist gesund, es hat sich zurückgezogen, man sieht schwarze Dreiecke - und das soll ein Erfolg sein." Der Erfolg werde erst perfekt, wenn die Zähne kieferorthopädisch bewegt würden, führte sie aus. "Die Zähne werden intrudiert und von der Stellung sagittal auch wieder zurückgeholt, dadurch kann der Knochen regenerieren. Denn es gibt nichts besseres als der körpereigene Knochen. Körpereigene Zähne, Zahnfleisch und die dann noch in guter Funktion. Das sind eigentlich Therapieziele."

Eine der Folgen fehlender Prävention kann das Entstehen von Mundkrebs sein. "Ich werde nicht müde darauf hinzuweisen, dass der Zahnarzt, die Zahnärztin, hier eine extrem wichtige Position einnimmt", betonte Prof. Dr. Dr. Torsten E. Reichert. "Durch die Früherkennung der sogenannten malignen Mundschleimerkrankungen kann man eben verhindern, dass es zu Mundhöhlenkarzinomen kommt." Reichert verwies auf die Notwendigkeit, bei jeder zahnmedizinischen Untersuchung die gesamte Mundschleimhaut sorgfältig zu inspizieren. Dazu müsse man natürlich wissen, was denn auffällige Läsionen in der Mundhöhle seien. Solche Frühformen könnten auf einer Stufe abgefangen werden, bevor es zum Karzinom komme. "Und das ist Prävention im eigentlichen Sinne." Ein Viertel aller Karzinom-Erkrankten werde aber erst im Stadium vier entdeckt.

Die weitere Diskussion, die immer wieder durch praxisrelevante Fragen bereichert wurde, zeigte Schnittstellen in der Prävention zwischen den einzelnen Fachbereichen auf und alle einte die Hilflosigkeit vor dem Phänomen der Verweigerung einer notwendigen Mundhygiene nicht selten aus soziologischen Aspekten heraus. Besonders präventionsbedürftig bleiben demnach Kleinstkinder sowie alte Menschen und solche mit Behinderungen.

"Die Hauptsache ist immer noch, dass wir den Biofilm, der da ist, kontrollieren müssen, beseitigen müssen, um dem Körper die Chance zu geben, auszuheilen. Das ist die Situation in Deutschland, wo wir noch lange nicht da sind, wo wir hin müssen in meinem Fachgebiet", stellte Prof. Meyle gegen Ende der Diskussion fest. Insgesamt stellte sich im Verlauf der Gesprächsrunde die Notwendigkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit auch mit der Medizin heraus, der die neue Approbationsordnung, wie Prof. Reichert einfügte, schon in der Ausbildung einen weit größeren Stellenwert zumesse.

Moderator Bublath fasste wesentliche Punkte der Diskussion zusammen: "Was ich mitnehme ist, dass ein Manko die mangelnde Patientendisziplin ist bei vielen präventiven Maßnahmen, dass die Krankenkassen offenbar nicht alles zahlen, was sinnvoll ist, dass es in der Demographie bei älteren Patienten eigentlich noch gar keine richtigen Konzepte gibt, wie man damit umgeht." Seine Abschlussfrage nach Verbesserungen in der Prävention beantwortete Prof. Frankenberger damit, dass er feststellte: "Für mich ist das kein Problem der Zahnmedizin, für mich ist das ein Problem der Medizin im allgemeinen. Sie kriegen als Arzt, wenn sie irgendwo reinschneiden, ein besseres Honorar, als wenn Sie abwarten. Es ist die aggressive Medizin heute immer noch besser bezahlt als die sanfte Medizin. Das ist in der Zahnmedizin genauso." Frankenberger sah aber den Kongress als Beleg dafür, dass neben den Mitdiskutanten auch viele Kolleginnen und Kollegen den "sanften Weg" bevorzugen.

Prof. Korbmacher-Steiner appellierte an das Durchhaltevermögen: "Wir sind auf allen Ebenen gut dabei Prävention besser aufzustellen." Sie verwies auf laufende Studien und deren Umsetzung, die allerdings einen langen Vorlauf hätten, um den Präventionsgedanken weiter voran zu treiben. Prof. Meyle fokussierte sich auf die Praxis: "Ich wünsche mir, dass die Zahnärzte da draußen, wenn sie einen Patienten mit Parodontitis behandeln, dafür ein anständiges Honorar bekommen. Und dass es nicht abgewertet wird, zugunsten von restaurativen Maßnahmen, so wie es passiert ist. Wenn wir wirklich Prävention meinen, dann müssen wir auch die Weichen in die richtige Richtung stellen."

Prof. Reichert sah dagegen für die Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner "die einmalige Chance, diesen Präventionsgedanken wirklich durchzuführen. Er bekommt den Patienten ja, wenn es ideal läuft, schon im Kindesalter, sieht ihn regelmäßig und verfolgt ihn ein Leben lang, bis ins hohe Alter möglicherweise. Und in jedem Lebensabschnitt gibt es Aspekte, die wichtig sind." Der Zahnarzt habe so die Chance, den Präventionsgedanken an jedem einzelnen Baustein anzuwenden.

 

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