Beim Thema Qualität ist die Wissenschaft zunehmend gefragt
Rede des DGZMK-Präsidenten Prof. Dr. Michael Walter zur Eröffnung des Deutschen Zahnärztetages 2018 in Frankfurter Paulskirche
Ich begrüße Sie zu unserem Jahreshöhepunkt, dem Deutscher Zahnärztetag. Dieses Mal stehen nicht unsere Erfolge im Mittelpunkt, sondern die Misserfolge: wie man sie erkennt, vermeidet und managt oder mit anderen Worten, wie man die Qualität unserer Bemühungen weiter verbessern kann. Und wenn man die Themen näher betrachtet, die uns im letzten Jahr besonders umgetrieben haben, stößt man wieder fast immer auf Bezüge zur Qualität. Ich möchte dies zum Anlass nehmen, Qualität aus der Sicht der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde zu reflektieren.
Qualität ist ein unbequemes, kontroverses, immer wiederkehrendes Thema und schon deshalb keines, das man einfach aussitzen kann. Es ist nachvollziehbar, dass Standespolitik und Wissenschaft hier zum Teil keine deckungsgleichen Auffassungen haben. Unstrittig ist für mich, dass bei der Qualität die Wissenschaft mit der DGZMK und ihren Fachgruppierungen vorrangig und zunehmend gefragt ist.
Es gibt Themen, bei denen eine hohe Übereinstimmung zwischen den zahnärztlichen Organisationen besteht. Auch wir sehen bei Finanzinvestoren und Kettenbildung Gefahren für die Qualität der Versorgung. Diese Gefahren müssen auch dringend in Richtung Politik kommuniziert werden. Aus wissenschaftlicher Sicht sollte man die anzunehmenden Nachteile aber wenn möglich mit Daten aus der Versorgungsforschung belegen. Es gilt natürlich auch hier das Prinzip der Ergebnisoffenheit.
Kommen wir zur Ausbildungsqualität. Der fertige Entwurf einer neuen Approbationsordnung wurde kürzlich erneut von der Tagesordnung des Bundesrates genommen. Im Grundsatz war man sich darüber einig, den Entwurf zu unterstützen. In der Wissenschaft und unter den Hochschullehrern wurden allerdings zunehmend substanzielle Zweifel an der Finanzierbarkeit und Umsetzbarkeit der neuen Ausbildung hörbar. Auch kam die Frage auf, ob die fachliche Ausrichtung und Wichtung, die immerhin auf einem mehr als zehn Jahre alten Entwurf basieren, nicht einer Neubewertung bedürften. Zehn Jahre sind ein langer Zeitraum in der Medizin. Die DGZMK wird in dem weiteren Verfahren ein Auge darauf haben, dass die wissenschaftliche Qualität der Ausbildung durch geeignete Rahmenbedingungen sichergestellt bleibt. In diesem Kontext ist für uns auch die Neuordnung und Qualität der postgradualen Qualifizierungsphase ein Thema.
Qualität zahnärztlicher Maßnahmen und wissenschaftliche Fundierung stehen in einer engen Beziehung. Hier besteht in der Zahnmedizin ein uns allen bekanntes Evidenzdefizit, das immer wieder aufgegriffen wird. Die DGZMK legt deshalb in diesem Jahr erstmals ein spezielles Förderprogramm für klinische Studien auf, mit einer Fördersumme von bis zu 300.000 €. Letztlich ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber durchaus ein Signal und ein Schritt in die richtige Richtung.
Qualität kann durch Leitlinien gefördert werden. Beispielhaft möchte ich die aktuell vor der Fertigstellung stehenden Leitlinien zur Zahnbehandlungsangst und zum Bruxismus nennen; Themen, die uns täglich vor Herausforderungen stellen. Wir arbeiten hier gut mit der Bundeszahnärztekammer und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung zusammen. Es gibt allerdings noch zu viele weiße Flecken auf der Leitlinien-Landkarte; besonders wenn man bedenkt, dass Schlüsselmaßnahmen der Alltagszahnmedizin wie zum Beispiel die Endodontie nicht abgebildet sind. Bei näherem Hinsehen identifiziert man leicht eine Reihe von Hindernissen. Ich möchte knappe Ressourcen, hohen Zeitaufwand und eingeschränkte Karriererelevanz nennen. Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, diese Hindernisse aus dem Weg zu räumen, und noch mehr Anreize schaffen.
Aus den Leitlinien oder anderen validen Quellen lassen sich Patienteninformationen ableiten. Die Anforderungen an Qualität und Unabhängigkeit steigen dabei rasant. Qualitativ hochwertige Informationen zur Verfügung zu stellen und die Voraussetzungen für eine Stärkung der Gesundheitskompetenz zu schaffen, werden immer wichtiger und von der Politik zunehmend gefordert und gefördert. Auch hier hat die Stunde der Wissenschaft und der DGZMK geschlagen. Immerhin konnte von BZÄK, KZBV und DGZMK ein gemeinsames Methodenpapier für evidenzbasierte, patientenorientierte Gesundheitsinformationen verabschiedet werden. Dafür Dank an die Partnerorganisationen, die sich hier sehr stark engagiert haben.
Jeden Tag finden wir eine Vielzahl mehr oder weniger abgesicherter Ratschläge zu Mundgesundheit und Therapieverfahren in der Laienpresse. Wir wollen als DGZMK auch diesen Bereich bedienen und uns als erste und unabhängige Adresse für zahnmedizinische Fragestellungen etablieren. Im Mai veranstaltete die DGZMK zum nunmehr zweiten Male in Folge eine wissenschaftliche Pressekonferenz im Haus der Bundespressekonferenz. Es ist uns dieses Mal gelungen, mit Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation ein Thema zu setzen, das in öffentlichkeitswirksamer Aufbereitung auf außerordentliches Interesse in der Fach- und Laienpresse stieß. Möglicherweise ist Ihnen das Thema "Kreidezähne" in einem der unzähligen Beiträge in verschiedenen TV-Kanälen, Rundfunksendern sowie Online- und Printmedien begegnet. Daraus wird deutlich, dass man mit derartigen Aktionen die öffentliche Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Problem erheblich befördern kann. Diesen Weg werden wir fortsetzen.
Fazit: Das Thema Qualität zieht sich wie ein roter Faden durch unser Fach. Die Zahnmedizin muss sich dem Thema Qualität proaktiv stellen. Der wissenschaftlichen Zahnheilkunde kommt dabei die zentrale Aufgabe zu, die Grundlagen für die Definition und Bewertung von Qualität in ihren verschiedenen Dimensionen zu liefern. Eine so starke wissenschaftliche Gemeinschaft wie die DGZMK, die nahezu das gesamte Spektrum der Zahnheilkunde abbildet, ist dazu prädestiniert und sollte selbstbewusst mit dem Qualitätsbegriff umgehen. Es geht dabei weder um Belehrung aus dem Elfenbeinturm noch um Gängelung oder eine Einschränkung der Therapiefreiheit. Es geht darum, die Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde voranzubringen. Das ist unser ureigenes Anliegen.